Servus, Moin und einen schönen guten Tag,
es freut mich das du den Weg zu diesem Blog gefunden hast 🙂 In Bezug auf den Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 3.11.2016 (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/deutsche-bahn-zugtueren-schliessen-bald-sekunden-frueher-im-dienste-der-puenktlichkeit-1.3233167) und dem daraus resultierenden Kommentarsturm auf Facebook der mir zeigte, dass wohl die wenigsten wirkliche Ahnung vom Bahnbetrieb haben, möchte ich euch hiermit die Grundzüge des „Zug abfahrens“ (oder wie es im Bahndeutsch heißt „Abfertigen“ näher bringen)
Als Erstes sei erwähnt, das ich es echt nicht verstehe wie sich Leute über 20 Sekunden aufregen können. Vor allem beginnt NUR der Fernverkehr das Abfertigungsverfahren 20 Sekunden früher. Die S-Bahnen, DB Regio und die Privatbahnen bleiben von dieser Regelung also unberührt. Das dürfte schon mit der Befürchtung der Leute aufräumen, wie es ist, wenn jemand länger zum Einsteigen braucht oder aber der Zug nur 30 Sekunden am Bahnsteig hält. Denn der Fernverkehr steht mindestens 2 Minuten planmäßig in den Bahnhöfen.
Als Zweites muss man sich vor Augen führen, dass dies nicht heißt, dass der Zug auf Biegen und Brechen 20 Sekunden früher abfährt, sondern der Zugchef lediglich 20 Sekunden früher damit beginnen kann den Zug abzufertigen. Allerdings muss der Zug vorher natürlich Abfahrbereit sein.
Abfahrbereit? Was heißt das denn schon wieder?
Ein Zug ist Abfahrbereit, wenn die Abfahrtszeit gekommen ist, dass Personal vollständig am Zug ist (Lokführer und die Mindestbesetzung), wenn der Be- und Entladevorgang am Speisewagen abgeschlossen ist, der Zug fahrbereit ist UND der Ein- und Austiegsvorgang beendet ist. Gerade der letzte Absatz sollte also mit der Aussage aufräumen, dass die DB die Fahrgäste nichtmehr mitnehmen möchte. Denn wenn eine Menge Fahrgäste ein und Aussteigen, so muss der Zugführer auch weiterhin warten, bis alle Fahrgäste Ein- und Ausgestiegen sind. Auch wartet der Zugführer weiterhin auf Anschlüsse, wenn die Verkehrsleitung dies anordnet. Und auch die Zugbegleiter warten natürlich weiterhin, wenn wir sehen, dass Fahrgäste angerannt kommen.
Aber was ändert sich denn jetzt eigentlich genau?
Dies möchte ich euch am Beispiel der ICE Abfertigung erklären. Der Einfachheit geschuldet ist T die Abfahrtszeit.
Das Abfertigungsverfahren der DB Fernverkehr AG für ICE Züge ist in 3 Phasen unterteilt und Phase 1 beginnt T-45 Sekunden. In Phase 1 wird die Bandansage ( „Meine Damen und Herren an Gleis XY bitte steigen Sie ein. Die Türen schließen automatisch, Vorsicht bei der Abfahrt des Zuges.“) Außerdem betätigen die Zugbegleiter spätestens jetzt die Notentriegelung (Der Pfeifton) um sicher zu gehen, dass ihre Türe offen bleibt. Phase 1 hat übrigens vorher t-30 Sekunden begonnen. Effektiv sind es also lediglich 15 Sekunden die wir früher anfangen.
Kommen wir nun zu Phase 2 diese sollte t-30 Sekunden beginnen. Der Zugführer gibt hier einen Achtungspfiff und bedient die Türschließeinrichtung. Alle Türen, bis auf die der Zugbegleiter laufen zu. Hier besteht jetzt noch die Möglichkeit in letzter Sekunde zu einer Tür eines Zugbegleiters in den Zug zu kommen. Kleiner Hinweis am Rande: An Kopfbahnhöfen steht ein Zugbegleiter immer in der Nähe des Prellbocks und somit in der Nähe des Querbahnsteiges. Sollte der Zugbegleiter auch hier sehen, dass noch jemand angerannt kommt, so hat er hier noch die Möglichkeit diese Person abzuwarten.
Wohlgemerkt sind wir jetzt in Phase 3 bei T-15 Sekunden. Also hat man bis 15 Sekunden vor Abfahrtszeit die Möglichkeit in den Zug einzusteigen. Hier sei nochmal ausdrücklich erwähnt: ABFAHRTSZEIT nicht LETZTE MÖGLICHE EINSTIEGSZEIT. Im Flieger oder Schiff kommt man ja auch nicht bis zuletzt noch rein.
In der letzten Phase heben die Zugbegleiter letztlich die Orangefarbenen Scheiben. Das zeigt dem Zugchef „Hey, mein Bereich ist fertig. Wenn die anderen auch fertig sind können wir los“ Sobald der Zugchef den Arm hebt und die Fertigmeldung quittiert und zu diesem Zeitpunkt sind wir Zugbegleiter verpflichtet einzusteigen und die Türen zu schließen egal was kommt. Das hat den Hintergrund das zu diesem Zeitpunkt schon der Fahrweg steht, der Lokführer in den Startlöchern steht und wir mit jeder Sekunde, die wir länger stehen eventuell andere Züge ausbremsen. Gerade in Knoten wie Frankfurt am Main oder aber Köln HBF kann das ganz schnell den ganzen Fahrplan durcheinanderwürfeln.
Wieso können die 5 Sekunden, die ich brauche um noch zuzusteigen den ganzen Fahrplan durcheinanderwürfeln?
5 Sekunden wirken nicht viel, aber nehmen wir uns mal den Frankfurter HBF zur Brust. Hier ist die Zugtaktung so eng, dass die Züge stellenweiße sogar auf Einfahrt warten müssen, wenn jeder Zug auf die Sekunde abfährt. Das Problem, wenn ein Zug später abfährt ist, dass andere Züge, die eigentlich den Fahrweg des Zuges vor dem Bahnhof kreuzen, dadurch vor einem roten Signal zum Halten kommen. Denn: 5 Sekunden später reinspringen heißt 5-7 Sekunden spätere Fertigmelden heißt der Zug kommt 10-15 Sekunden später zum Anrollen.
Nun ist der Fahrweg vom Weichenbereich knapp 1-2km lang. Da braucht der ICE eine Weile um drüber zu rollen. Und der Fahrweg für den anderen Zug muss dann ja auch erstmal umgestellt werden, was auch wieder dauert. Der Brems und Beschleunigungsvorgang bedeutet hier gut mal eine Verzögerung von 2-3 Minuten die der andere Zug braucht um in den Bahnhof zu fahren. Dort muss er dann ggf. einen anderen Zug vorlassen oder aber Bremst einen sonst pünktlichen Zug aus und dieser hat dann gut und gerne mal 5-6 Minuten Verspätung.
Oder der andere Zug war ein ICE, da dieser später rein ist wurde der Regionalzug vorgelassen. Dieser bremst den ICE jetzt zwischen Frankfurt und Aschaffenburg aus. Dadurch hat der ICE nun eine Verspätung von 10 Minuten.
Aber wieso Lässt man dann den Regionalzug nicht einfach die 4 Minuten warten? Da ist doch der Fahrdienstleiter dann schuld!
Eben nicht. Es gibt auch für den Schienenverkehr ein Antidiskriminierungsgesetz. Das heißt das jeder Zug, egal ob Hochgeschwindigkeitszug, Regionalzüge (DB und auch private) oder auch Güterzüge. Das heißt, dass der Fahrdienstleiter den Güterzug vor den ICE setzen MUSS, wenn dieser die gleiche Trasse gebucht hat.
Tut er dies nicht, dann steht die passende Bundesagentur vor der Tür und der Fahrdienstleiter darf sich rechtfertigen. Und ob man es glaubt oder nicht, die Aussage: „Der ICE ist eben schneller!“ gilt hier nicht. Deswegen hat man auch regelmäßig in Fernzügen Nahverkehrszüge vor der Nase.
„Als würde das viel bringen. Meistens sind ja technische Störungen am Zug, an der Strecke oder Personen im Gleis Schuld“
Das ist vollkommen richtig. Allerdings muss man ja irgendwo anfangen. Außerdem kann man solche kleinen Dinge sofort Dinge sofort ändern. Technische Störungen an der Strecke wie Weichenstörungen, Oberleitungsstörungen und Signalstörungen kann man nicht einfach von jetzt auf gleich beheben. Deswegen wurden viele kleine Dinge im täglichen Betrieb geändert. Viel was nicht gemerkt wurde. Und selbst diese 20 Sekunden wären wohl nie aufgefallen wenn die Süddeutsche darüber berichtet hätte.
Und mal ganz im ernst. Die Deutsche Bahn kann ja wohl kaum was dafür wenn jemand meint im Gleisbereich spazieren zu gehen.
„Scheiß Deutsche Bahn, die SNCF löst das VIEL besser! Aber hier muss ja gleich 20 Sekunden früher die Tür geschlossen werden1111!!!!!“
Auch diese Kommentare habe ich auf Facebook gelesen und aller Professionalität zum Trotz: Leute, wisst ihr wie in Frankreich abgefahren wird?
3-4 Minuten (!) früher die Türen zu und der Bahnsteigzugang wird 2 Minuten vorher gesperrt. MiNUTEN. Keine 20 SEKUNDEN. Klar, besser wäre es wohl…. Aber da würde hier ja total Amok gelaufen. Das kannst nicht bringen 😀
Ich zitiere hier mal von Facebook: „Sehr fahrgastfreundlich, wenn eine alte Dame oder ein Rollstuhlfahrer mal länger zum Einsteigen braucht… DB, ihr habt doch nicht mehr alle Nägel am Gleis“
Vorneweg: Ob Gleise genagelt werden weiß ich nicht. Aber ich bin der Meinung die werden verschraubt 😀 Zum eigentlichen Thema: Das Abfertigungsverfahren wird nur im Fernverkehr der DB verwendet. DIESER hat immer mindestens 2 Zugbegleiter am Zug. Diese dürfen das Abfertigungsverfahren erst einleiten, wenn der Zug Abfahrbereit ist. Das heißt wenn alle im Zug sind die rein möchten. Rollstuhlfahrer müssen im Fernverkehr sowieso angemeldet sein und sich knapp 20 Minuten spätestens aber 10 Minuten vorher bei dem Servicepersonal melden. Folglich stört es die nicht viel. Die ältere Dame wird meistens auch zeitnah am Bahnsteig sein. Die stört es meistens auch nicht. Es gibt dem Chef NUR die Möglichkeit, zeitig loszufahren. Dies wird aber nicht auf biegen und brechen durchgesetzt.
Abschließend möchte ich mal eine Frage in den Raum werfen: Wer hat den gemerkt, dass dieses Verfahren schon seit Mitte des Jahres in Hannover, Frankfurt am Main und München HBF getestet wird?
Wenn ich schätzen müsste würde ich sagen: Fast niemand. Außer das die Pünktlichkeitswerte deutlich besser geworden sind.
Aber gut. Jetzt hat eine Zeitung darüber berichtet, da muss es ja was schlechtes/ein riesen Ding sein. Klar, macht Sinn…. NICHT